Vor kurzem erschien in einer grossen Deutschschweizer Sonntagszeitung ein Artikel mit dem Titel «Cannabis hilft nicht bei psychischen Leiden». Der Artikel bezieht sich auf Auswertungen australischer Forscher, die bestehende Studien von 1980 bis 2018 analysiert und ausgewertet haben. Liest man den Artikel durch, bleibt ein negativer Eindruck zurück. Die Resultate seien ernüchternd. Es gäbe bisher keine Hinweise, dass medizinisches Cannabis bei psychischen Erkrankungen hilft. Weder bei Depressionen, Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, ADHS noch Psychosen hat sich ein positiver Effekt nachweisen lassen, steht darin geschrieben. Das liess uns aufhorchen. MEDCAN gibt es nun schon seit fünf Jahren und unsere Mitglieder machen andere Erfahrungen. Cannabis ist sicherlich kein Wunderheilmittel und kann bei psychischen Erkrankungen auch kontraproduktiv sein, ihm aber jegliche Wirkung abzusprechen, ist falsch.
Schaut man sich die Studienresultate der australischen Forscher an, diese wurden in der Publikation «The Lancet Psychiatry» veröffentlicht, verwundert die negative Wortwahl des Zeitungsartikels. Die Forscher kommen nämlich zum Schluss, dass es nicht genügend aussagekräftige Studien gibt, um eine Wirkung bei psychischen Erkrankungen zu bestätigen oder zu widerlegen. Es brauche weitere qualitativ hochwertigere Studien, um die Wirkung von Cannabinoiden auf die Psyche zu erforschen. Man weiss eigentlich nur, dass man bei psychischen Erkrankungen noch wenig weiss und das sollte Ansporn sein, um mehr über die Wirkung der Heilpflanze herauszufinden. Auch der Zeitungsartikel erwähnt die fehlenden Studien. Trotzdem den Titel «Cannabis hilft nicht bei psychischen Leiden» zu wählen ist Effekt haschend, reisserisch und falsch recherchiert.
An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass diese ausgewerteten Studien zum Teil mit THC- oder CBD-Isolaten oder sogar mit künstlich hergestellten Cannabinoiden durchgeführt wurden. Heute ist man weiter und weiss, dass alle Inhaltsstoffe der Pflanze wichtig sind. Diese Symbiose der Inhaltsstoffe nennt man Entourage-Effekt. Medikamente, die aus der ganzen Heilpflanze hergestellt werden, wirken besser als deren Isolate. So weiss man heute zum Beispiel auch, dass THC alleine psychotische Symptome hervorrufen, CBD hingeben diese abschwächen kann. All dieses Wissen wurde bei der Auswertung nicht berücksichtigt. Diese Tatsache ist auch der Grund, weswegen sich die Patientinnen und Patienten verschiedene Cannabis-Sorten wünschen und keine standardisierten Cannabis-Medikamente. Wichtig ist das Zusammenspiel aller Inhaltsstoffe. Ebenfalls erstaunlich ist, dass obwohl schon vor fast 30 Jahren entdeckt, das Endocannabinoid-System immer noch nicht in der Schulmedizin angekommen ist. Das System steuert wichtige Prozesse im menschlichen Körper: Appetit, Erinnerung, Entzündungen, Immunfunktionen, Neuroprotektion, Schmerzen, Reproduktion, Schlaf, Stimmung, Stoffwechsel oder Verdauung. Nimmt man Cannabis-Medikamente ein, interagieren die Wirkstoffe der Pflanze mit diesem System. Wieso die moderne Medizin nicht mehr Interesse am Endocannabinoid-System zeigt, ist als Cannabis-Patientin oder Patient unverständlich.
Eine kanadische Studie aus dem Jahre 2017 ergab, dass viele Menschen Cannabis als wirksames, alternatives Medikament für verschiedene Erkrankungen ansehen. Am häufigsten wird es gegen Schmerzen und zur Verbesserung der psychischen Gesundheit eingesetzt. Oft können verschreibungspflichtige Medikamente wie Opiate, Benzodiazepine oder Antidepressiva reduziert oder ersetzt werden. Auch viele unserer Mitglieder verwenden Cannabis mit Erfolg bei Depressionen, Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, ADHS oder anderen Leiden. Unsere Mitglieder haben ihre Therapie bewusst auf Cannabis umgestellt oder kombinieren sie mit schulmedizinischen Methoden und Medikamenten. Sie erachten die Nebenwirkungen bei der medizinischen Anwendung von Cannabis als drastisch geringer und angenehmer, als dies bei vielen konventionellen Medikamenten der Fall ist. Aber gerade Patientinnen und Patienten mit psychischen Störungen haben oft grosse Probleme von ärztlicher Seite unterstützt zu werden, auch wenn es ihnen nachweislich hilft. Junge Männer oder Frauen die ihre psychischen Erkrankung mit Cannabis therapieren, bringen das Stigma des Kiffers nicht los. Schlecht recherchierte Zeitungsartikel sind diesen Patientinnen und Patienten gegenüber unfair und helfen nicht die falschen Vorurteile abzubauen.
In der Schweiz wird das Interesse immer grösser, Cannabis medizinisch einzusetzen. Ein neues Betäubungsmittelgesetz steht im Raum, dass Cannabis-Medikamente wie Opiate einstufen möchte, so dass diese direkt ärztlich verschrieben werden können. Leider ist die Forschung nicht so schnell und wird noch Jahre brauchen, Resultate zu liefern. Diese werden aber von den Ärzten gefordert, damit sie Cannabis besser verschreiben können. Auch Cannabismedikamente werde oft nur von den Krankenkassen bezahlt, wenn ihre Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit bewiesen ist. Ohne zusätzliche Forschung wird es für die Patientinnen und Patienten weiterhin schwierig bleiben, ihre Cannabis-Therapie zu legitimieren und zu finanzieren. Fraglich ist, wer diese wissenschaftlichen Studien durchführen soll. Bei pflanzlichen Produkten ist die Studienlage oftmals dünn, weil die Patentierbarkeit der Präparate schwierig ist. Pharmafirmen führen grosse Studien nur dann durch, wenn ein Medikament gute Gewinnmargen verspricht. Cannabis ist in vielen Fällen ein direkter Konkurrent zu ihren eigenen Medikamenten. So besteht kein Interesse, Forschung zu betreiben. Wer soll also diese Resultate liefern? Wenn die Wirtschaft kein Interesse hat, muss der Staat zusammen mit den Universitäten zum Wohl der Volksgesundheit diese Rolle übernehmen und Cannabis erforschen.
Rudolf Brenneisen, Präsident der Schweizer Arbeitsgruppe für Cannabinoide in der Medizin (SACM) sagt: «Vielleicht sollten wir uns von den Prinzipien der klassischen Medizin entfernen, nach denen alles bewiesen werden muss, und akzeptieren, was die Patientinnen und Patienten erzählen». Das sehen auch die Mitglieder des Medical Cannabis Verein Schweiz so. Sie spüren am eigenen Körper, dass ihnen Cannabis bei ihren Beschwerden hilft. Cannabis ist nicht neu. Es ist seit Jahrtausenden ein Heilmittel. Wieso und warum das so ist, darf die Wissenschaft gerne noch nachliefern. Die jahrzehntelange Prohibition hat die Forschung leider verunmöglicht. Bis man mehr weiss, teilen die Patientinnen und Patienten ihr Wissen über die medizinische Anwendung gerne. Hauptsache den kranken Menschen geht es besser. Es ist ja nicht so, dass pharmazeutische Medikamente psychische Erkrankungen heilen können. Auch da benötigt man zusätzlich psychologische Hilfe, viel Ruhe, Verständnis seiner Umwelt, Strategien und Zeit, um wieder gesund zu werden und in die Gesellschaft zurückzufinden. Wenn Cannabis dabei helfen kann und das erzählen viele kranke Menschen, wird es wohl ganz einfach wahr sein, auch wenn es wissenschaftlich nicht belegt ist. Es ist aber auch kein Wunderheilmittel und wird nicht jedem helfen.
MEDCAN hat die Vernehmlassungsfrist genutzt und hat zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes Stellung bezogen. Der Verein hat sich im Namen der Schweizer Cannabis-Patientinnen und Patienten beim Bundesrat Berset und dem Bundesamt für Gesundheit wie folgt dazu geäussert.