oder warum viele der Betroffenen, die Cannabis medizinisch einnehmen nicht glücklich sind über die aktuelle Entwicklung in der Schweiz. Inzwischen haben zwar fast alle Verständnis oder befürworten es sogar, dass kranke Menschen Cannabis als Medikament verwenden. Ein neues Betäubungsmittelgesetz steht zur Diskussion und soll die Situation der Cannabis-Patientinnen und Patienten in der Schweiz zukünftig verbessern. Die Betroffenen sind aber gar nicht überzeugt und bezweifeln, dass ihnen das neue Gesetz helfen wird.
Für die vom Bundesamt für Gesundheit BAG geschätzten 100’000 Cannabis-Patientinnen und Patienten möchte ich stellvertretend meine Geschichte erzählen. Ich bin Cannabis-Patientin und die Präsidentin von MEDCAN Schweiz. So ist vielleicht besser zu verstehen, warum diese Menschen und ich mit gemischten Gefühlen die in Aussicht gestellte Änderung des Betäubungsmittelgesetzes beurteilen. Wir sind zwar froh, dass sich etwas ändert und dass die Zustimmung im Parlament und in der Bevölkerung gross ist. Seit vielen Jahren versuchen wir auf unsere unmenschliche Situation aufmerksam zu machen und kämpfen dafür, dass die Therapie mit Cannabis anerkannt wird. Jetzt haben wir aber berechtigte Angst, dass wir durch dieses Gesetzesänderung noch mehr ins Abseits gestellt werden.
Liest man die Stellungnahmen durch, stellt man fest, dass alle Parteien von links bis rechts und auch alle Vereine, Verbände, Organisationen und Institutionen die Legitimität der Cannabis-Patientinnen und Patienten und die Dringlichkeit ihres Anliegens anerkennen und ändern möchten. Die Reaktionen auf das neue Gesetz sind sehr positiv. Meistens wurden nur kleine Änderungen angemerkt. Alle sind überzeugt, dass die Situation der Patientinnen und Patienten durch diese Lösung verbessert wird. Man ist sich einig, dass das schnell passieren muss. Es soll mehr geforscht werden, damit die Krankenkassen die Cannabistherapie bald anerkennen und die Ärztinnen und Ärzte Verschreibungsvorgaben haben, um es medizinisch einzusetzen. Auf den ersten Blick ein Grund sich als Patient zu freuen, könnte man jetzt denken. Alles wird besser. Endlich bekommen die kranken Menschen ihre Medizin.
Es wird für einige besser werden. Das ist bestimmt so. Alles ist besser, als dass was wir jetzt haben. Das Angebot der Cannabis-Medikamente wird sich erweitern und die Preise werden hoffentlich sinken. Die Akzeptanz und das Wissen über die Anwendung der Heilpflanze wird durch die Forschung verbessert werden. Vor allem für neue Patientinnen und Patienten wird so der Zugang ermöglicht und durch das Gesetz vereinfacht. Das wird aber alles einige Jahre dauern. Nur schon bis das neue Gesetz eingeführt wird, vergeht noch Zeit. Meine Geschichte soll zeigen, dass aber ganz viele Betroffene sofort Hilfe brauchen. Diese Menschen therapieren sich oft seit Jahren selber und wissen genau was sie tun. Wir haben keine Zeit darauf zu warten, bis uns die Forschung bestätigt, was wir schon wissen. Cannabis hilft. Für uns ist diese Gesetzesänderung keine Lösung. Im Gegenteil! Da die Selbsttherapie ausdrücklich verboten bleibt, rückt eine legale Cannabistherapie für uns in weite Ferne. Diese Menschen haben oft wenig Geld oder brauchen wie ich eine hohe Dosierung. Werden wir gezwungen noch weitere Jahre ohne die Unterstützung der Krankenkasse unsere Medikamente zu bezahlen, ist nur der Eigenanbau finanzierbar.
Ich hatte vor zehn Jahren einen Unfall. Dabei brach ich mir mehrere Halswirbel. Seit diesem Tag bin ich querschnittsgelähmt und kann meine Arme und Beine nicht mehr bewegen. Zudem habe ich starke spastische Krämpfe und neuropathische Schmerzen. Es ist kaum auszuhalten. Die Verzweiflung war gross, als ich feststellte, dass die Medikamente, die ich von den Ärzten bekam, nicht genug gegen die Schmerzen halfen, mich extrem «zudröhnten» und meinen Körper stressten. Ich konnte nichts mehr essen, musste nach jeder Mahlzeit erbrechen, nahm immer mehr ab und war dauernd ernsthaft krank. Mir war aber auch klar, dass ich mich schwer verletzt hatte und wohl oder übel bis an den Rest meines Lebens mit diesen unmenschlichen Schmerzen leben muss. Ich wusste, irgendein Schmerzmittel ist unumgänglich.
Schon in der Reha fiel mir auf, dass andere Patienten abends vor dem Spital «kifften». Ich war aber noch so stark eingeschränkt, dass ich mich nicht selber informieren konnte. Eine Freundin recherchierte im Internet und erzählte mir: Cannabis wird schon seit Jahrtausenden als Schmerzmittel eingesetzt und hilft gegen Spastik. Ich liess mir Cannabisblüten ins Spital bringen und rauchte sie und siehe da, es wirkte ausgezeichnet. Cannabis war für mich nichts Unbekanntes. Ich habe schon vor dem Unfall gerne geraucht und es als Entspannungsmittel nach der Arbeit geschätzt. Ich hatte also keinerlei Berührungsängste.
Ich habe schon unzählige Medikamente gegen die Schmerzen und die spastischen Krämpfe ausprobiert und über längere Zeit eingenommen. Im Vergleich ist Cannabis für mich unschlagbar. Die verkrampfte Muskulatur löst sich nach dem Rauchen sofort und die Schmerzen werden gedämpft. Der von vielen gefürchtete «high»-Rausch ist für mich im Vergleich zu den Nebenwirkungen der Medikamente moderat und angenehm. Oft gewöhnt man sich schnell daran. Ich spüre inzwischen gar keine unangenehmen Nebenwirkungen mehr auch bei hohen Dosierungen nicht. Dank Cannabis bin ich fröhlicher, nicht mehr so verzweifelt und depressiv. Ich habe Appetit, esse wieder mehr und habe zugenommen. Die Schmerzen sind nicht weg, aber gedämpft, so dass ich sie aushalte. Cannabis hat mir sehr viel Lebensqualität zurückgegeben. Es ist kein Wunderheilmittel aber ein ausgezeichnetes Linderungsmittel, dass unter anderem schmerzlindernd, entzündungshemmend, beruhigend und entspannend wirkt. Deswegen hilft Cannabis bei vielen Alltagsleiden und kann auch bei schweren Erkrankungen und Verletzungen wie beim mir, als Langzeitmedikament eingenommen werden, ohne dass es den Körper vergiftet oder die Organe schädigt.
Als ich merkte, wie gut mir Cannabis als Schmerzmittel hilft, versuchte ich alle Hebel in Bewegung zu setzen, um legale Cannabis-Medikamente zu bekommen. Meine Ärztinnen und Ärzte konnten mir aber nicht helfen. Sie hatten keine Erfahrung und es war damals noch total verboten. Meistens wurde ich belächelt. Ich wollte aber unbedingt Legitimität und war eine der ersten, als es 2012 möglich wurde, eine Sonderbewilligung für eine Magistratsrezeptur beim BAG zu beantragen. Mit meiner Schmerzproblematik war ich prädestiniert und hatte keine Probleme, diese Bewilligung zu bekommen. Die Cannabistropfen aus der Apotheke reichten aber nicht. Ich brauchte und brauche auch heute Cannabisblüten, da die Aufnahme über die Lungen also das Rauchen die Spastik viel schneller und effektiver löst. Ich benötige eine Kombination aus beiden Einnahmeformen, um durch den Tag zu kommen. Ich musste also trotz Ausnahmebewilligung vom Bund auf den Schwarzmarkt ausweichen.
Mit den Tropfen aus der Apotheke, Haschisch und Cannabisblüten vom Schwarzmarkt fing ich langsam an meine verschreibungspflichtigen Schmerzmittel, die meinen Magen und meine Verdauung lahmlegten, auszuschleichen. Die Linderung der Schmerzen war so erleichternd, dass es mir egal war, dass Cannabis verboten ist und ich mich bei einer Therapie damit, strafbar machte. Ich bildete mich weiter und las alles, was ich über die medizinische Anwendung von Cannabis fand. Zudem tauschte ich mich mit anderen Patientinnen und Patienten bei MEDCAN aus. So optimierte ich meine Cannabistherapie fortlaufend. Heute bin ich eine Expertin und weiss genau, was ich tue.
Dank Cannabis konnte ich nach einigen Monaten fast alle meine pharmazeutischen Medikamente absetzen. Mein Körper erholte sich und es ging mir besser. Meine Kosten stiegen aber massiv. Je mehr verschreibungspflichtige Schmerzmittel ich absetzte, desto mehr Cannabis musste ich einnehmen. Ziemlich schnell stellte ich fest, dass die legal erhältlichen Cannabistropfen viel zu schwach für mich sind. Als die monatlichen Kosten 1400 Franken überstiegen, war meine Unfallversicherung auch nicht mehr bereit, diese zu übernehmen. Von da an kaufte ich wieder alles auf dem Schwarzmarkt. Meine monatlichen Ausgaben belaufen sich heute auf ungefähr 1200 Franken. Zum Glück werde ich finanziell ein wenig von meiner Unfallversicherung unterstützt. Würde ich meinen monatlichen Medikamentenbedarf über den legalen Weg abdecken, wäre das für mich unbezahlbar. Die Kosten würden sich auf weit über 30’000 Franken belaufen. Niemand weiss, wieso diese Preise so absurd hoch sind.
1200 Franken monatlich ist trotz Unterstützung meiner Versicherung eine enorme finanzielle Belastung. Diese Kosten und der permanente Beschaffungstress bescheren mir schlaflose Nächte. Ich gehe übermässig sparsam mit meinen Cannabis-Medikamenten um, obwohl die Schmerzen kaum auszuhalten sind und eine höhere Dosierung helfen würde. Ich habe dauernd Angst zu wenig zu haben und zu viel Geld auszugeben. Die Angst vor der Polizei ist allgegenwärtig. Eine psychische Ausnahmesituation. Auch eine Qualitätskontrolle ist auf dem Schwarzmarkt nicht möglich. Ich weiss also nie so genau, was sich jeweils einnehme. Das ist unbefriedigend und kann bei schlechter Qualität, gesundheitsschädlich sein.
100’000 Cannabis-Patientinnen und Patienten in der Schweiz habe ähnliche Geschichten. Das schätzt das BAG. Die Dunkelziffer ist um einiges höher, sagt MEDCAN. Oft haben kranke Menschen nur eine kleine IV-Rente zur Verfügung. Ausgaben für Cannabis als Medikament, und sind es nur 200 Franken pro Monat, liegen nicht drin. Es stellt sich nun die Frage: Wieviel werden diese zukünftigen Cannabis-Medikamente in der Apotheke kosten? Im Moment sind die Preise der legal erhältlichen Produkte astronomisch. Das neue Betäubungsmittelgesetz möchte Cannabis wie Opiate einstufen. Es wird dadurch zu einem rezeptpflichtigen Medikament, dass vom Arzt verschrieben werden kann. In der Schweiz sind Medikamente teuer. Die Zukunft wird zeigen, ob die Preise dieser Cannabis-Medikamente mit dem Schwarzmarkt mithalten können. Wenn nicht haben sie bei den schon anwendenden Patientinnen und Patienten keine Chance. Aus einem ganz einfachen Grund. Sie können sich diese nicht leisten, wenn die Krankenkasse bei der Finanzierung nicht mithelfen muss.
Ein weiteres tief verwurzeltes Problem ist die Angst, Cannabis könnte als Droge missbraucht werden. Liest man sich die Stellungnahmen als gut informierte Cannabis-Patientin durch, ist man schon sehr konsterniert, wie verteufelt die Heilpflanze immer noch ist. Das Kiffer-Drogen-Image ist weit verbreitet. Cannabisblüten werden deswegen in einigen Stellungnahmen kategorisch abgelehnt. Die Einnahmeform über die Lunge hat aber ihre Berechtigung. Sie wirkt schneller und wird von einigen Betroffenen deswegen bevorzugt. Das hat nichts mit «Kiffen» zu tun. Jedes Medikament ist doch in der Definition eine Droge. Man wird ja auch nicht als «Heroin-Junkie» bezeichnet, wenn man Opiate einnimmt.
Die Erfahrungsberichte der Patienten und die Forschung zeigen, dass Cannabis vielen kranken Menschen helfen kann. Es ist ein pflanzliches Heilmittel mit moderaten Nebenwirkungen. Es wurde seit Jahrtausenden als Heilmittel verwendet und war vor der Prohibition weltweit eines der beliebtesten Medikamente. Es ist also nichts Unbekanntes. Cannabis für den medizinischen Gebrauch im Betäubungsmittelgesetz mit abhängig machenden und tödlich überdosierbaren Medikamenten wie Fentanyl oder Opiaten gleichzusetzen, ist falsch und setzt die Heilpflanze weiterhin in ein falsches Licht. Die Forschung zeigt, gerade Cannabis könnte eine Alternative zu diesen gefährlichen Medikamenten sein.
Kranke Menschen haben sich für ein Cannabis-Medizinal-Gesetz eingesetzt und auf eine Verbesserung gehofft. Jetzt haben sie Angst davor. Die vorgeschlagene Lösung ist, wie in diesem Artikel aufgezeigt, für viele nicht finanzierbar. Das ist keine Hypothese. Genau diesen Effekt kann man in Deutschland beobachten. Das dort 2017 beschlossene Cannabisgesetz mit dem Vertrieb der Cannabis-Medikamente über die Apotheken funktioniert mehr schlecht als recht. Die Preise sind, obwohl schon ein bisschen eingebrochen, immer noch viel zu teuer. Die Patientinnen und Patienten finden keine ärztliche Unterstützung, die Krankenkassen möchten nicht bezahlen, immer wieder gibt es Lieferengpässe und die Qualität der Cannabis-Medikamente ist teilweise ungenügend. Würde das in der Schweiz mit dem neuen Gesetz wirklich besser funktionieren? Die Betroffenen haben grosse Zweifel. So bleibt den Cannabis-Patientinnen und Patienten wohl nichts anderes übrig, als sich für eine totale Legalisierung mit einer Nische zum Eigenanbau einzusetzen, obwohl sie das vermeiden wollten, um sich vom Freizeitkonsum zu distanzieren, um mehr Verständnis zu bekommen.