2021 hat sich für Cannabispatientinnen und -patienten vieles in die richtige Richtung entwickelt. Im März verabschiedete das Parlament das neue Betäubungsmittelgesetz. Dieses sieht vor, dass Cannabis in Zukunft direkt von einer Ärztin bzw. einem Arzt verschrieben werden darf. Bis Ende November konnten alle Interessierten in der Vernehmlassung Stellung beziehen. Werden nun keine Korrekturen mehr vorgenommen, sollte das Gesetz bis nächsten Sommer umgesetzt werden. Was heißt das für die Betroffenen?
Trotz aller Aufklärungsarbeit ist eine individuelle auf die jeweilige Erkrankung ausgerichtete Therapie mit verschiedenen Einnahmeformen und Cannabissorten in der Schweiz noch immer nicht möglich. Nur ein paar tausend Patientinnen und Patienten ist es mittels einer Sondergenehmigung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) möglich, auf legalem Wege Cannabismedikamente zu beziehen. Das BAG schätzt, dass über 100’000 Patientinnen und Patienten sich illegal medizinisch mit Cannabis versorgen. Ein unhaltbarer Zustand für die Betroffenen.
Das neue Betäubungsmittelgesetz ändert die Situation
Durch die Gesetzesänderung bestätigt das Schweizer Parlament die Legitimität einer Cannabistherapie. Will heissen, dass der medizinische Nutzen von Cannabis auch auf dem politischen Parkett Gehör gefunden hat. Das ist ein Erfolg für die Cannabispatientinnen und -patienten.
Was ändert das neue Gesetz?
Die Schweiz wählt den pharmazeutischen Weg
Sie entscheidet sich für ein ähnliches Gesetz wie es in Deutschland seit 2017 besteht. So liegt die Entscheidung über eine Verschreibung beim medizinischen Fachpersonal. Das macht Sinn und das Wegfallen der Ausnahmebewilligung wird den Verschreibungsprozess vereinfachen und beschleunigen. Dies wird für zahlreiche Patientinnen und Patienten zu einer Verbesserung ihrer Situation führen.
Ausbildung des medizinischen Fachpersonal ist essentiell
Wichtig ist, dass viel Effort in die Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte investiert wird. Die Erfahrungen der Betroffenen zeigt nämlich, das diese zwar von Cannabis gehört haben, aber nicht wissen, wie man es verschreibt. 2021 haben nun erste Ärzteschulungen gestartet. MEDCAN durfte einen einstündigen Patiententeil dazu beisteuern. Auch in Zukunft werden wir versuchen, wenn immer möglich bei Schulungen Einfluss zu nehmen und unsere Erfahrungen und die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten zu vermitteln. Nur wenn das medizinische Fachpersonal über dieVerschreibung von Cannabis Bescheid weiß, wird sich die Situation der Patientinnen und Patienten verbessern.
Immer noch Fragezeichen
Was man noch nicht weiß ist, welche Cannabissorten und Einnahmeformen zu welchen Preisen zur Verfügung stehen werden. Bis anhin ist in der Schweiz die Auswahl der Cannabismedikamente sehr beschränkt und die Preise sind viel zu hoch. Werden die anfallenden Kosten nicht von der Krankenkasse bezahlt – und das geht, wenn überhaupt nur mit Zusatzversicherung – können sich nur wenige die legalen Produkte aus der Apotheke leisten. Das ist heute schon ein Problem und wird nicht verschwinden, wenn die Medikamente keinen fairen Preis bekommeń.
Berechtigte Angst, dass Cannabis ein teures Medikament bleibt
Die Patientinnen und Patienten sorgen sich, dass die Preise auch zukünftig unbezahlbar bleiben. In Deutschland konnte man dieses Phänomen nach der Einführung des neuen Gesetzes auch beobachten. Nur langsam kamen die Preise runter und sind heute tragbarer. Cannabis wäre eigentlich eine günstige Therapieform und wird durch die Überregulierung teuer gemacht. MEDCAN wird in diesem Punkt an den wichtigen Stellen weiter aufklären und intervenieren.
Pflanzenprofile und Einnahmeformen
Dank Social Media und Internet sind Patientinnen und Patienten heute aufgeklärt und tauschen sich über die Anwendungen und die Wirkung untereinander aus. Die Betroffene wünschen sich verschiedene Cannabissorten und Einnahmeformen wie zum Beispiel Extrakte, Crèmes, Patches oder Cannabisblüten usw. Auch ist es dringend nötig, dass die Cannabistherapie von den Krankenkassen anerkannt wird. Kranke Menschen sind nicht in der Lage für ihre monatlichen Medikamentenkosten selber aufzukommen. Glücklicherweise sieht das neue Gesetz vor, dass Daten zu den Anwenderinnen und Anwendern gesammelt werden. So wird vielleicht in Zukunft die wissenschaftliche Evidenz vorhanden sein, damit die Krankenkassen die Therapie bezahlen.
Cannabis-Pilotprojekt für den Freizeitkonsum
Aber nicht nur im medizinischen Bereich wird Cannabis Einzug halten. Die Schweizer Politik hat auch beim Freizeitkonsum einen neuen Weg eingeschlagen. 2022 werden in verschiedenen Städten Cannabis-Pilotprojekt entstehen, in denen legal Cannabis verkauft und konsumiert werden kann. MEDCAN hat einige Projekte geprüft, sich aber gegen eine Teilnahme entschieden. Medizinische Anwendungen sind explizit ausgeschlossen. Wir setzen uns für die Menschen ein, die Cannabis als Medikament einnehmen. Diese Gruppe wollen wir sichtbar machen und uns nicht verstecken. Nichtsdestotrotz haben Patientinnen und Patienten auch ein Recht auf Freizeitkonsum. Und bis endlich eine bezahlbare medizinische Versorgung gewährleistet ist, macht es sicher auch als Patientin bzw. als Patient Sinn, sich über ein Pilotprojekt «sein Medikament» auf einem sicheren legalen Weg zu besorgen.
Pilotprojekte sind erfreulich, bergen aber auch Gefahren
Der Verein freut sich natürlich über die Entkriminalisierung und unterstützt diesen Schritt im Freizeitkonsum. Wir verstehen aber nicht, warum nicht zuerst die Patientinnen und Patienten einen legalen Zugang bekommen. Hier wurden die Prioritäten von der Politik falsch gesetzt. Schwer kranke Menschen brauchen Cannabis als Medizin. Dadurch dass der Freizeitkonsum nun bevorzugt wird, könnte eine Banalisierung entstehen. Wenn Cannabis zuerst zum legalen Rauschmittel wird, schwächt dies den Status der medizinischen Therapie. Ärztinnen und Ärzte oder auch Krankenkassen könnten Verordnung und Kostenübernahme verweigern, wenn Cannabis auch in Shops verkauft wird. Die Patientinnen und Patienten leiden heute schon unter dem Stigma des «Kiffens». Diese Vorurteile müssen abgebaut und nicht verstärkt werden.
2022 – ein spannendes Jahr
Vieles wird sich nächstes Jahr ändern. Nationale und internationale Firmen möchten in der Schweiz ins medizinische Cannabis-Business einsteigen und Geld verdienen. MEDCAN wird von allen Seiten umworben. Die Erfahrungen der Patientinnen und Patienten sind nun wichtig und gefragt. Das sollte der Verein zu seinem Vorteil nutzen. Schließen sich die schon anwendenden über 100’000 Patientinnen und Patiente und ihre Unterstützer zusammen, sind wir eine starke Stimme und könnten in Zukunft verstärkt Einfluss nehmen.
Nur gemeinsam sind wir stark
MEDCAN hat es in den letzten sieben Jahren geschafft, den Betroffenen eine Stimme und ein Gesicht zu geben. Nun ändert sich endlich auch die Politik. Jetzt ist es wichtiger denn je, weiterhin die Interessen der Patientinnen und Patienten zu vertreten. Wir sind erst am Ziel, wenn jede Patientin und jeder Patient Cannabismedikamente erhält und sich diese auch leisten kann.