Der 26. Juni 2019 war der lang ersehnte Tag der Cannabis-Patientinnen und Patienten. Endlich macht die Schweizer Regierung einen Schritt vorwärts, um die medizinische Anwendung von Cannabis zu vereinfachen. Was heisst das jetzt für die Betroffenen und wem würde diese Gesetzesänderung helfen? MEDCAN hat den Gesetzesentwurf unter die Lupe genommen. Eine Analyse.
Mit der Revision des Betäubungsmittelgesetzes möchte der Bundesrat das Potential von Cannabis zur medizinischen Anwendung besser nutzen und den kranken Menschen mit möglichst geringem, bürokratischem Aufwand den Zugang zu Cannabis-Arzneimitteln ermöglichen. Die Vernehmlassung dauert bis zum 17. Oktober 2019.
Auch wenn es nun oft schon so tönt, als wäre die medizinische Anwendung von Cannabis in der Schweiz bald legal, muss man realistisch bleiben. Die politischen Prozesse brauchen voraussichtlich mehr als 3 Jahre und dann muss das Gesetz noch umgesetzt werden. Die Patientinnen und Patienten sind froh, dass eine neue Regulierung für die medizinische Abgabe in Aussicht steht. Das heisst aber für viele, dass sie sich weiterhin für einige Jahre in einer unzumutbaren Situation befinden werden. Krank zu sein und das benötigte, hilfreiche Medikament nicht zu erhalten, ist für diese Menschen eine starke psychische Belastung. Egal wie die Gesetzesänderung ausfallen wird, es ist aber ein Fortschritt. Ein Gesetz würde die medizinische Anwendung von Cannabis legitimieren und endlich Straffreiheit gewähren.
Die Verantwortung für die Behandlung läge bei den Ärztinnen und Ärzten
Das ist ganz im Sinne der Betroffenen. Da Cannabis medizinisch bei sehr vielen Leiden und Krankheiten eingesetzt werden kann, ist es den Betroffenen wichtig, dass keine Indikationen für die medizinischen Anwendungsbereiche im Gesetz definiert sind. So wäre auch die von den kranken Menschen so zwingend geforderte Therapiefreiheit gewährleistet. In Zukunft könnte dadurch vielleicht auch möglich werden, dass «weniger schwere Leiden», wie zum Beispiel monatliche Menstruationsbeschwerden mit Cannabis-Arzneimitteln behandelt werden könnten. Cannabis als Medikament sollte keinesfalls nur schwerkranken Menschen zur Verfügung stehen. Gerade bei verschiedensten Altersgebrechen ist es eine pflanzliche Alternative zu abhängig machenden Schmerz-, Schlaf- oder Beruhigungsmitteln. Mit der Auslegung dieses Gesetzes sind den Ärzten für die Verschreibung keine Grenzen gesetzt. Das ist sehr erfreulich. Diese Möglichkeit würde vor allem neuen Anwendern helfen. Würde nun im Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt, Cannabis als sinnvollstes Medikament definiert, kann mit einem Therapiebeginn sofort gestartet werden. Das würde vieles vereinfachen.
Das Fachwissen über die medizinische Anwendung fehlt noch weitgehend
Da die Betroffenen aber wissen, wie schwierig es im Moment immer noch ist überhaupt eine medizinische Fachperson zu finden, die sich mit der Anwendung von Cannabis auskennt und bereit ist es zu verschreiben, besteht eine grosse Angst, dass sich dieser Aspekt nicht so schnell ändern wird. Dieses neue Gesetz würde nur funktionieren, wenn die Medikamente wirklich auch verschrieben werden. Heute muss oft noch viel Überzeugungskraft eingesetzt werden und viele werden belächelt oder als «drogensüchtig» abgestempelt. Das Verständnis für die Cannabis-Patientinnen und Patienten und der Wunsch nach cannabishaltigen Medikamenten ist in der Schulmedizin immer noch ein Tabu. Dagegen argumentiert wird jeweils mit fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnissen. Tausende Patientengeschichten aus der ganzen Welt erzählen aber eine andere Geschichte und inzwischen wird auch weltweit intensiv für die medizinische Anwendung zu verschiedensten Indikationen geforscht.
Aus wirtschaftlicher Sicht dürften Hersteller von Phytoarzneimitteln, spezialisierte öffentliche Apotheken und inländische Rohstoffhersteller von der Gesetzesänderung profitieren. Auch das ist aus Sicht der Patientinnen und Patienten die richtige Richtung. Durch die bereits legale CBD-Produktion in der Schweiz ist ein grosses Know-how vorhanden und die inländische Produktion sollte unbedingt bevorzugt werden. Wenn man das Gesetz genau unter die Lupe nimmt, stellt man aber fest, dass wenn Cannabis als Betäubungsmittel eingestuft wird, sich die Schweiz an Abkommen zu halten hat, die sie 1970 mit der UNO eingegangen ist. Die Mitgliedstaaten haben dem Betäubungsmittelkontrollorgan («International Narcotic Control Board», INCB) die von ihnen produzierten, ein- und ausgeführten, eingelagerten sowie verbrauchten Betäubungsmittel zu melden. Um dies zu gewährleisten, muss jedes Land, das die medizinische Anwendung von Cannabis zulässt, eine nationale Cannabis-Agentur einführen. Die Schweiz muss nicht, will sich aber an dieses Abkommen halten. Swissmedic würde die Aufgabe der Überwachung übernehmen.
Hohe Anforderungen an Produzenten und Hersteller
Auf zukünftige Rohstoffproduzenten und auf die Hersteller der Cannabis-Medikamente kommen viele Richtlinien und Gesetze zu. Wie diese genau aussehen, sind im Heilmittelgesetz und in der Pharmacopoea Helvetica zu finden. Es ist anzunehmen, dass sich dieser Aufwand nur für grössere Produktionsfirmen, die GMP-zertifiziert sind, rechnen wird. Auch die Herstellung der Cannabis Arzneimittel wird Kosten generieren. All dies wird sich wohl auf den Preis der Medikamente auswirken. Die gleiche Entwicklung konnte man auch in Deutschland nach der Einführung des Medizalcannabis-Gesetzes sehen. Die Preise stiegen stark, haben sich inzwischen aber ein bisschen eingependelt. In Anbetracht, dass Medikamente in der Schweiz oft noch teurer sind, ist nicht anzunehmen, dass diese zukünftigen Cannabis-Medikamente moderate Preise haben werden. Die Preise sind ja heute schon bei der Sonderregelung vom Bundesamt für Gesundheit das grösste Problem. Die Patientinnen und Patienten können sich trotz Bewilligung, die Medikamente nicht leisten. Die Preise sind um ein x-faches teuer als auf dem Schwarzmarkt. Es ist sehr optimistisch vom BAG zu glauben, dass die geschätzten 65'000 bis 100'000 Patienten auf diese Produkte umsteigen, wenn der Preis nicht stimmt. Schon gar nicht in Anbetracht, dass die Kosten in näherer Zukunft nicht von den Krankenkassen übernommen werden müssen.
Das ist auch genau der Punkt, den die Betroffenen an diesem Gesetz kritisieren. Cannabis würde zwar ein verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel mit allen Sicherheitsvorkehrungen unter Kontrolle des Arztes, aber die wissenschaftliche Evidenz wird weiterhin angezweifelt. Die Kosten müssen selber getragen werden, obwohl oft andere Behandlungen oder Medikamente eingespart werden können. Das ist nicht fair. Es entsteht ein Zweiklassen-Gesundheitssystem. Wer genug Geld hat, kann sich die Cannabis-Medikamente leisten, wer nicht, wird weiterhin gezwungen, sich zu kriminalisieren. Das ist moralisch verwerflich und wird das hoch gesteckte Ziel der Schweizer Regierung, viele der «Selbsttherapierer» in einen legalen Markt zu lenken, verhindern. Dafür braucht man keine Kristallkugel, um diese Entwicklung vorauszusehen. Die Betroffenen, die sie sich schon seit Jahren selber therapieren, werden im Regen stehen gelassen. Noch schlimmer, sie werden explizit im Gesetz ausgeschlossen. Der medizinische Selbstanbau wird weiterhin verboten bleiben. Das ist aber, solange die Krankenkassen nicht bezahlen, für viele Betroffene die einzige finanzierbare Möglichkeit.
Eigenanbau und Erlaubnis für die Gründung von Medical Cannabis Social Clubs
Bis eine neue medizinische Abgaberegulierung realisiert ist und die Kosten von den Krankenkassen bezahlt werden, muss es Patientinnen und Patienten erlaubt werden, ihr Medikament so billig wie möglich herzustellen. Die einzige Möglichkeit für die Betroffenen zahlbare und saubere Cannabis-Medikamenten zu bekommen, ist der Eigenanbau.
Eine Situationsanalyse mit Lösungsvorschlägen aus der Sicht der Schweizer Cannabis-Patientinnen und Patienten
Medical Cannabis Verein Schweiz
Gesetzesänderung Cannabisarzneimittel
Heute nutzen einige tausende Patientinnen und Patienten Cannabisarzneimittel. Mit der Gesetzesänderung soll kranken Menschen der Zugang zu diesen Arzneimitteln erleichtert werden. Die Vernehmlassung dauert vom 26. Juni bis zum 17. Oktober 2019.