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Andrea

Diagnose: Entzündlich-rheumatische Autoimunerkrankung und chronische Erschöpfungen (Fatigue)
«Um mobil zu bleiben, musste ich eine Odyssee durchlaufen.»
«Mit THC im Blut ist meine Reaktionsgeschwindigkeit höher als ohne.»
Andrea
Patientengeschichten

Für Andrea ist das Auto die Verbindung zur Welt. Durch ihre vielseitigen Erkrankungen ist die 55-jährige Geschäftsfrau immunsupprimiert und lebt mit chronischer Erschöpfungen (Fatigue). Stresssituationen, wie zum Beispiel hastig das Zug-Perron zu wechseln, können Andreas Batterien innerhalb kürzester Zeit leeren und sie schwächen. Zudem können durch ihre Gelenkschmerzen die einfachsten Alltagssituationen zur Challenge werden. So lassen ihre Schmerzen im Ellbogen zum Beispiel nicht zu, gefüllte Einkaufstaschen zu tragen.

Dank dem Auto konnte Andrea all diese Hürden und somit ihren Alltag bewältigen. Bis eines Morgen ein eingeschriebener Brief vom Strassenverkehrsamt ihre Welt auf den Kopf stellt. Im Brief wurde ihr mitgeteilt, dass sie ab sofort nicht mehr Auto fahren darf. Andreas Verbindung wurde einfach so gekappt.

Das Rezept für diese Misere: Ein nachlässiger Umgang mit Andreas persönlichen Daten seitens der IV und eine unprofessionelle Einordnung ihrer THC-Medikamente, was zu einer scheinbar willkürlichen Entscheidung beim Strassenverkehrsamt führte. Doch fangen wir von vorne an:

Achtung fragile

Beim Erzählen muss Andrea immer wieder unterbrechen, um sich zu räuspern und zu husten. Wegen ihrer entzündlich-rheumatischen autoimmunen Erkrankung – sind ihre Schleimhäute trocken. Ebenso hat sie stets einen trockenen Mund und trockene Augen. Dadurch ist sie sehr empfindlich auf Licht. Wegen der trockenen Schleimhäute, die diese Krankheit mit sich bringt, entzündet sich Andreas Darm sehr schnell, was sie schon mehrmals auf die Notfallstation des Krankenhauses führte. Zudem hat Andrea immer wieder mit Steifheit in den Gelenken und mit Muskelkrämpfen zu kämpfen. Wenn diese eintreten, beginnt sie plötzlich zu Hinken. Also ist Andrea stets auf der Hut vor starken Lichtquellen, kalten Windstössen oder stressigen Situationen. «Ich muss einfach sehr vorsichtig umgehen mit meinem sensiblen Körper», erzählt sie und wickelt sich ihren Schal noch etwas enger um den Hals, damit er nicht friert und steif wird. 

Damit ihr Körper resistenter ist vor den alltäglichen Einflüssen, nimmt sie zahlreiche Medikamente. Neben Immunsuppressiva, Muskelrelaxantien, Antihistaminika und Kortison nimmt Andrea eine auf Alkohol basierte THC-Tinktur zu sich. Diese trinkt sie aufgelöst in einem heissen Cacao. Die Tropfen helfen ihr, die anhaltenden Entzündungen in ihrem Körper zu lindern, den unangenehmen Muskelkrämpfen zu entgehen und ihren Reizdarm zu beruhigen.

Der Preis für Andreas Freiheit 

Andrea hat sich ihr Leben so gut es geht eingerichtet, damit sie mit den Symptomen ihrer Erkrankungen klarkommt. Doch eine routinemässige Revision bei der IV stellte ihr Leben plötzlich auf den Kopf. Ihr Fall wurde neu eingeschätzt und sie musste einige Tests zu ihrer kognitiven, physischen und psychischen Verfassung ablegen. Dabei kam auch die Frage auf, ob Andrea fahrtüchtig sei. Um ihre Kompetenz hinter dem Steuer zu beweisen, benötigte sie das Gutachten aus der Verkehrsmedizin. Dazu wurde Andreas komplette IV-Akte von der Versicherung an das Strassenverkehrsamt gesendet. Ungesichert und ungeschwärzt machten sie alles einsehbar, auch die penibelsten Details von Andreas Lebenssituation, ihrer Kindheit, ihrer Berufslebens – Dinge, die für das Gutachten nicht relevant sind. 

Nach eingehender Analyse all dieser Daten fällte die Verkehrsmedizinerin den Entscheid, Andrea das Autobillet zu entziehen. Die knappe Erklärung lautete: Es gebe Hinweise, dass sie wegen der Einnahme des THCs nicht fahrtauglich sei. «Ich fiel aus allen Wolken,» erzählt sie. Sie musste per Sofort das Auto stehen lassen und ihr Radius beschränkte sich auf ihre Wohnung. Da sie keine andere Wahl hatte und für ihren Alltag auf das Auto angewiesen ist, setzte Andrea die Therapie mit Cannabis ab. Um dies zu beweisen, musste sie jeden Monat beim Arzt eine Urinprobe abgeben. «Ich fühlte mich wie ein Junkie, der seine Unschuld beweisen muss.» Erst als sie nachweislich kein THC mehr im Blut hatte, durfte Andrea unter Auflagen wieder Autofahren.

Da sie von heute auf morgen kein THC mehr nehmen konnte, wirkten sich die Schmerzen und Schlafprobleme zerschmetternd für ihre Psyche und ihren Körper aus. Um das Leiden der Muskelkrämpfe auszuhalten, musste Andrea ihr Medikament (Muskelrelaxant) um das Fünffache höher dosieren und auch weitere Medikamente gegen die Schmerzen und die Schlafprobleme einnehmen. «Die Nebenwirkungen davon waren grauenhaft für mich», erinnert sich Andrea. 

Willkür auf dem Strassenverkehrsamt

Da die neue Verfügung fürs Autofahren jeweils nur ein Jahr gilt, stand für Andrea nach 12 Monaten ein erneutes medizinisches und psychiatrisches Gutachten an. Darauf folgten kognitive Tests mit Hanf im Blut. Die Resultate davon lassen aufhorchen: Denn Andreas Reaktionszeit ist höher mit THC-Medikamentation als ohne. 

Nach diesem Testergebnis gab die Verkehrsmedizinerin Andrea grünes Licht, um auch mit THC-Medikamenten Auto zu fahren. Dies unter der Bedingung, dass die THC-Dosierung nicht verändert wird, Andrea nur dann fährt, wenn sie sich gut fühlt, sie regelmässige Kontrollen ihrer psychischen Gesundheit absolviert und sie auch die übrigen ärztlichen Anweisungen befolgt.

So weit so gut – bis ein Jahr später die nächste Verlaufskontrolle anstand und neue Gutachten anstanden. «Die Termine, Verordnungen, Tests und Berichte kosten mich jedes Mal mehrere tausend Franken und sehr viel Zeit», erzählt Andrea ratlos. «Auf die Dauer kann ich mir das nicht leisten.»

Deshalb beantragt Andrea jetzt zusammen mit Medcan eine langfristige Bewilligung fürs Autofahren mit THC-Medikamentation. Denn nur so kann sie ihr Leben wieder autonom gestalten, ohne engmaschige Kontrollen des Amtes oder unendliche Papiertiger. Passend schliesst Andrea unser Gespräch ab: «Mein Leben ist durch meine Krankheiten stark eingeschränkt. Das Auto gibt mir wieder Freiheit.»