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Beat

Jahrgang: 1966
Diagnose: Adhäsive Arachnoiditis
«Cannabis hilft mir, tagtäglich aufzustehen, indem es meine Schmerzen erträglicher macht.»
«Ich verstehe nicht, warum Patienten mit Opiaten überhäuft werden, aber gleichzeitig Cannabis verteufelt wird.»
Beat
Patientengeschichten

Wenn Beat auf die letzten 30 Jahre zurückschaut, kommt ihm sein Leben manchmal vor wie ein Achterbahnritt. Mit steilen Anstiegen und wilden Kurven. Aber auch schwungvollen, lebensfrohen Phasen. In letzter Zeit überwiegen leider die beschwerlichen Strecken. Cannabis hilft ihm, auch sie zu überwinden.

Ein Spezialrezept und falsche Freunde

Schon seit 1994 greift Beat auf Cannabis als Heilmittel zurück. Damals litt er unter Colitis ulcerosa – einer chronischen Entzündung des Dickdarms. Zu dieser Zeit ist er in regen Kontakt mit dem Verein Schweizer Hanffreunde (VSHF). Dieser riet ihm, sich gegen seine Erkrankung ein Rezept für eine Hanftinktur ausstellen zu lassen. «Ich war der erste Schweizer Patient, der überhaupt ein Hanf-Rezept bekam. Leider brachte es mir nur Scherereien ein», erzählt Beat. Denn die Genehmigungen des BAG für Cannabis-Patientinnen und -Patienten gab es damals noch nicht. Paradoxerweise zeigt der Gründer vom VSHF sowohl den Arzt an, der das Hanftinktur-Rezept ausgestellt hatte, als auch die Apotheke, die die Tinktur hergestellt hatte. Und zudem wurde die Sonntagszeitung auf Beats Fall aufmerksam gemacht: Ein Journalist besucht ihn daraufhin zuhause für ein Interview. Die abgedruckte Story verdreht jedoch völlig die Tatsachen.

Nach Erscheinen der Zeitungsberichte – andere Medien springen auf den Zug auf – wird Beat von seinem Chef ins Büro gerufen: « Weil im Geschäft Gerüchte umgingen, ich sei drogenabhängig, entliess mich mein Chef fristlos. Und dies, obwohl ich innert einem Jahr dreimal befördert worden war», blickt Beat auf dieses düstere Kapitel seines Lebens zurück. Wegen der Kündigung geht es vors Bezirksgericht. Beat verteidigt sich selbst, während auf der Gegenseite zwei Crossair-Anwälte, der Crossair-Geschäftsführer sowie der Geschäftsführer des Crossair-Caterings. Beat erhält 10'000 Franken, also drei Monatslöhne zugesprochen. Unter der Bedingung, seine Kündigung zu akzeptieren und den Fall nicht weiterzuziehen. Der VSHF und insbesondere dessen Gründer – der ebenfalls Anwalt ist – lassen ihn vor Gericht mit ihren Aussagen im Stich. Bis heute fühlt sich Beat vom VSHF instrumentalisiert.

Zweite Karriere und zweite Krankheit

Enttäuscht von den bitteren Erfahrungen in der Schweiz, beschliesst Beat 1995, mit seiner Frau nach Thailand auszuwandern. Er und die gebürtige Thai hatten sich vier Jahre zuvor während der Arbeit bei Crossair-Catering kennengelernt und kurz darauf geheiratet. Gemeinsam beginnen sie in Thailand ein neues Leben. Mit seinen Erfahrungen als gelernter Koch und Servicekraft baut er sich eine neue Karriere auf: Er unterrichtet viele Jahre erfolgreich an einer Hotelfachschule in Bangkok und arbeitet in der Hotellerie im Management. Im Jahr 2000 bekommt das Paar ein Kind: eine Tochter.

Doch leider wird das Familienglück von gesundheitlichen Problemen getrübt: 1999 muss sich Beat einer Rücken-OP unterziehen. In deren Folge entwickelt sich bei ihm eine seltene Krankheit namens Adhäsive Arachnoiditis (siehe Box unten). Dabei ist die sogenannte «Spinnwebenhaut», eine feine Membran, die das Rückenmark umgibt, entzündet. Beat leidet seitdem unter starken Schmerzen im unteren Rücken und hat in den vergangenen 20 Jahren fünf schwere Hirnhautentzündungen – ebenfalls eine Folge der Erkrankung – durchgestanden. Die Arachnoiditis ist ausserdem dafür verantwortlich, dass sich bei Beat am ganzen Körper ein Zittern (Tremor) und daraus Gangstörungen entwickelt haben. Derzeit kann er sich nur noch auf einen Rollator gestützt fortbewegen.

Ein Traum zerplatzt

Leider leidet Beats Ehe unter seiner fortschreitenden Erkrankung. «Meine Schmerzen zermürbten mich, so dass ich oft auch depressive Phasen durchmachte. 2011 unternahm ich sogar einen Suizidversuch mit Tabletten, den ich überlebte. Die Situation wurde immer schwieriger für mich und meine Frau. 2013 liessen wir uns scheiden und ich beschloss, in die Schweiz zurückzukehren. Glücklicherweise erhielt ich das Sorgerecht für unsere Tochter und sie durfte mit mir in die Schweiz ziehen. Sie ist mittlerweile erwachsen und eine grosse Stütze für mich», erzählt . Da Beat als Ausländer in Thailand keinen Besitzanspruch auf das Haus seiner Familie hatte – in das er viel Geld gesteckt hatte – kehrt er praktisch mittellos in die Schweiz zurück. «Die ersten drei Monate wurden meine Tochter und ich in einem Heim für Asylbewerberinnen und -bewerber untergebracht, bis wir eine Wohnung gefunden hatten», blickt er zurück.  

Cannabis als Rettungsanker

Schon lange therapiert Beat seine starken Schmerzen mit zugelassenen Schmerzmitteln, aber auch mit Cannabis. Theoretisch wäre es für ihn – und sein Hausarzt unterstützt ihn dabei – möglich, die zugelassene Cannabis-Arznei Dronabinol zu nehmen. Theoretisch: Denn das Medikament gilt als «Alternativmedizin» und die wird ihm ohne Zusatzversicherung nicht bezahlt. Wiederum nimmt ihn wegen seiner Erkrankung keine Zusatzversicherung mehr auf. So bleibt Beat nichts anderes übrig, als sich Cannabis «schwarz» zu besorgen. Per Zufall stösst er nach seiner Rückkehr in die Schweiz auf eine «seriöse und zuverlässige» Bezugsquelle, die ihn bis heute mit Cannabis versorgt.

«Cannabis holt mich wortwörtlich jeden Morgen aus dem Bett und hilft mir, den Tag durchzustehen. Meine Schmerzen werden aushaltbar und das neurologische Zittern nimmt ab. Auch hilft mir Cannabis, depressive Phasen besser durchzustehen», erzählt er. Zwischen acht und zehn Cannabis Joints, die besonders schmerzstillend, entzündungshemmend und beruhigend bei ihm wirkt, raucht er täglich. Die Kosten belaufen sich auf rund 400 Franken pro Monat. Viel Geld für jemanden wie Beat, der nur eine 50-prozentige IV-Rente sowie Ergänzungsleistungen erhält. «Ich habe versucht, hier in der Schweiz wieder zu arbeiten. Leider lässt es mein Gesundheitszustand nicht zu. Ich bin zu 100 Prozent arbeitsunfähig, erhalte aber nur eine halbe Rente. Die IV will noch mehr Belege, dass ich nicht mehr arbeiten kann. Aber was soll ich machen: Ich kann nicht zaubern. Mein Zustand ist, wie er ist. » Als Beat 2020 bereits zum dritten Mal die Ablehnung durch die IV erhält, höher als 50 Prozent invalid eingestuft zu werden, unternimmt er erneut einen Suizidversuch. Auch dieses Mal überlebt er. Er erhält anschliessend eine stationäre fürsorgerische Unterbringung (FU), gefolgt von ambulanter, psychotherapeutischer Begleitung. Derzeit wird letztere einmal pro Woche durch die Spitex durchgeführt. Dies hilft ihm, mental stabil zu bleiben.

Einen Teil beitragen

Beat versteht nicht, warum es Menschen wie ihm noch immer schwer gemacht wird, sich mit Cannabis zu therapieren: «Viele Ärztinnen und Ärzte haben kein Problem damit, den Leuten opiathaltige Medikamente zu verschreiben, die einen völlig benebeln. Aber bei Cannabis sind sie skeptisch – so auch meine Schmerzärztin.» Auch aus diesem Grund wünscht er sich eine bessere Aufklärung und Weiterbildungen zu medizinischem Cannabis für Ärztinnen und Ärzte. Zwar ist seit August 2022 keine Sonderbewilligung des Bundesamts für Gesundheit mehr nötig, um Cannabis-haltige Medikamente zu erhalten. Aber deren hohe Preise verunmöglichen Beat die Anwendung.

Doch Beat ist nicht untätig – er will seinen Teil beitragen, um die Situation von Menschen zu verbessern, die sich mit Cannabis therapieren. «In Thailand wurde im Sommer 2022 der medizinische Gebrauch von Cannabis legalisiert. Es brauchte einfach den richtigen Gesundheitsminister und die Legalisierung ging ganz schnell. Für Schwangere, Stillende und Unter-20-jährige bleibt der Cannabis-Konsum verboten. So eine Regelung würde ich mir auch für die Schweiz wünschen.» In der Schweiz sind aufgrund der direkten Demokratie die politischen Prozesse langsamer. Um sich für die Legalisierung von Cannabis in der Schweiz einzusetzen, war Beat beispielsweise schon im Kontakt mit dem Schweizer Bauernverband, der dem Hanfanbau gemäss seinem Positionspapier grundsätzlich offen gegenüber steht. «Mein Kontakt beim Bauernverband hat mir gesagt, dass ein grosses Potenzial für die Schweizer Bäuerinnen und Bauern mit der Hanfproduktion als Nahrungsergänzung, für Medizinal-Produkte, aber auch für die Faserherstellung sehen. Dahinter steckt auch eine grosse wirtschaftliche Chance, denn Hanf ist widerstandsfähig und ziemlich anspruchslos. Jetzt müssen wir nur noch die Politik überzeugen, vor allem die Bürgerlichen. Ich hoffe, dass sich die rechtliche Lage bald nochmal verbessert», sagt er motiviert. Um seinen Teil beitragen zu können, ist er Mitglied bei MEDCAN geworden. «Ich wurde einmal enttäuscht von einem ‘Cannabis-Verein’. Aber MEDCAN vertraue ich. Die Leute hinter dem Verein, allen voran dessen Präsidentin Franziska Quadri, haben so viel Fachwissen. Und sie setzen sich so seriös in Gesellschaft und Politik dafür ein, dass Cannabis endlich als Medizin anerkannt wird und für alle zu Verfügung steht. Das hat mich überzeugt.» 

«Cannabis vermehrt zu Therapiezwecken einzusetzen, könnte vielen helfen. Und auch die Krankenkassen entlasten.»

Wissenswertes zu Adhäsiver Arachnoiditis Arachne bedeutet auf Altgriechisch Spinne. Bei Adhäsiver Arachnoiditis ist die «Spinnwebenhaut», eine von drei Membranen, die das Rückenmark und das Hirn umgeben, entzündet. Ausgelöst wird diese seltene Krankheit (weltweit ca. 25'000 Fälle) in 60 Prozent als Folge von chirurgischen Operationen an der Wirbelsäule. Dabei vernarbt die feine «Spinnwebenhaut», so dass die Spinalnerven zusammenkleben. So äussert sich Adhäsive Arachnoiditis Betroffene wie Beat haben starke chronische Schmerzen vor allem im unteren Rückenbereich, aber auch in den Gliedmassen und im Rumpf. Die Schmerzen nehmen bei Bewegung zu. Weitere Symptome wie bei Beat sind motorische Schwäche, Muskelkrämpfe oder Taubheitsgefühl. Auch das Sehen, die Blasen-, Darm- und Sexualfunktion können durch die Adhäsive Arachnoiditis beeinträchtigt werden. Erfolgreich therapiert werden kann Adhäsive Arachnoiditis nur in den ersten drei Monaten nach der Verletzung – und zwar mit Entzündungshemmern, Antikonvulsiva (wie sie z. B. gegen Epilepsie eingesetzt werden) und Antidepressiva. Hat die Narbenbildung auf der «Spinnwebenhaut» bereits begonnen, ist die Erkrankung nicht mehr rückgängig zu machen. Operationen, Injektionen, invasive Massnahmen wie Lumbalpunktionen und das Altern der Wirbelsäule verschlimmern die Krankheit.