Patrick
«Nur dank Cannabis konnte ich überhaupt meine Lehre abschliessen.»
Patrick ist acht Jahre alt, als bei ihm die Diagnose Friedreich-Ataxie (siehe Box) gestellt wird. Eine unheilbarer Gendefekt, der bei den Betroffenen unter anderem dazu führt, dass ihre motorischen Fähigkeiten abnehmen. Auch Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken sind häufig. «Schon im Kindergarten bemerkten meine Erzieherinnen, dass ich mich nicht so gut wie meine Mitschülerinnen und Mitschüler bewegen konnte und unsicher lief. Doch nicht nur das: Auch feinmotorisch hatte ich Schwierigkeiten – z.B. beim Malen, Schneiden und später beim Schreiben.» Dennoch besucht Patrick die ersten Schuljahre eine Regelschule. Leider verschlechtert sich sein Zustand: Patrick kann immer schlechter laufen und ist bald auf den Rollstuhl angewiesen. Und ihn plagen Spastiken, die seine Bewegungen unkontrollierbar machen. Ab der 5. Klasse lebt er unter der Woche in einem Schulheim für körperlich beeinträchtigte Kinder, in dem er spezielle Förderung wie Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie erhält.
Lehrabschluss mithilfe von Cannabis
Nach Abschluss der Sekundarschule beginnt Patrick eine Ausbildung zum Mediamatiker, die ihm sehr viel Freude bereitet. Aber aufgrund seiner Erkrankung ist die Lehre eine grosse Herausforderung: «Die Friedreich-Ataxie saugt mich aus, sie raubt mir viel Kraft. Das kann man sich ungefähr so vorstellen wie bei einem gesunden Menschen, den eine richtig dicke Grippe erwischt hat. Die Batterien sind leer, man fühlt sich schlapp – als Dauerzustand.» Und das Schlimme ist: Gegen Patricks Erkrankung gibt es keine zugelassenen Medikamente. Mitlernende gaben ihm den Tipp, es mal mit Cannabis zu versuchen. «Ich habe mir gesagt: Was habe ich schon zu verlieren?» Und tatsächlich merkt Patrick nach einigen Versuchen, wie sich sein Zustand bessert. Mental, aber vor allem körperlich: Er kann seine Bewegungen besser kontrollieren, ist weniger fahrig, seine Spastiken nehmen ab. Und auch seine Skoliose am Rücken – eine Seitabweichung der Wirbelsäule von der Längsachse – wird besser, denn er hat mehr Energie, um sich aufrecht zu halten. Aufgrund dieser positiven Effekte steigert er den Konsum. Rund ein Jahr nach seinem ersten Versuch raucht er täglich Cannabis. «Nach dem zweiten Lehrjahr war ich kurz davor, die Ausbildung abzubrechen. Der Cannabis-Konsum hat mir die nötige Energie gegeben, um durchzuhalten. Schliesslich habe die Lehre erfolgreich abgeschlossen», erinnert sich Patrick. Heute verdampft er sein Cannabis – vor allem, weil er die Menge so genauer dosieren kann und kein Tabak nötig ist.
Kein Leben möglich ohne Cannabis
Als Patrick wegen einer Überdosierung von Vitamin B3 (Niacin) für einige Tage ins Inselspital Bern muss, verordnen ihm die Ärzte, den Cannabis-Konsum einstellen. Mit verheerenden Effekten: «Schon nach wenigen Stunden ohne Cannabis nahmen meine Spastiken wieder zu, während mein Energielevel sank.» Nach dem Spitalaufenthalt nimmt er zunächst CBD-Produkte zu sich, die immerhin bewirken, dass er seine Füsse – die als Folge der Vitamin-Überdosierung taub waren – wieder spüren kann.
Wenigstens ein Gutes hat sein Spitalaufenthalt: Patrick vertraut seiner «Case Managerin» am Inselspital an, dass er sich selbst mit Cannabis therapiert. Sie empfiehlt ihm daraufhin den Verein MEDCAN. Seither hat Patrick bereits ein paar Mal an Patiententreffen in Bern teilgenommen – auch das Angebot der Online-Patiententreffs schätzt er. «Für mich ist es sehr kompliziert nach Bern zu kommen. Ich muss mich, meinen Rollstuhl und meinen Swiss-Trac® – mein elektrisches Rollstuhlzuggerät – jeweils telefonisch beim ÖV anmelden und die SBB sorgt dann dafür, dass mich am Bahnhof Bern ein Mitarbeitender abholt und begleitet. Das kostet mich jedes Mal Energie. Schön, dass es seit dem Corona-Epidemie die Online-Patiententreffs gibt.» Patrick schätzt den Austausch mit Menschen, die sich wie er selbst mit Cannabis therapieren. Und es tut ihm gut zu wissen, dass er nicht alleine mit seinen Problemen ist. An die Politik hat er eine konkrete Forderung: «Der Cannabis-Konsum soll für Erkrankte wie mich endlich legal werden. Es ist unglaublich anstrengend, jedes Mal gegen Vorurteile kämpfen und erklären zu müssen, warum ich mich mit Cannabis therapiere. Hätte ich ein ärztliches Rezept, wäre die Akzeptanz von Anfang an grösser.»
Ein bildhafter Traum
Aufgrund seiner Erkrankung kann Patrick nicht mehr arbeiten und da er alleine lebt, ist er zudem auf die tägliche Unterstützung der Spitex angewiesen. Wenn er sich fit genug fühlt, fotografiert Patrick gerne Menschen, Tiere und Pflanzen, aber auch Architektur. Sein Traum ist es, eines Tages seine Bilder in einer Galerie ausstellen zu können. Und er wünscht sich mehr soziale Kontakte, denn die Krankheit isoliert ihn zusehends. «Die Matura zu machen und zu studieren, wäre schön. Wer weiss, vielleicht verschafft mir Cannabis dazu den nötigen Antrieb? Ohne, und das ist sicher, wird es nicht gehen.»
Lernen Sie Patrick besser kennen auf seiner Website: bachpat
Wissenswertes zur Friedreich-Ataxie
- Rund 1 von 30'000 Menschen erkrankt entweder schon im Kindesalter wie Patrick, in der Pubertät oder im Erwachsenenalter an Friedreich-Ataxie.
- Gegen die Krankheit gibt es keine wirksamen, zugelassenen Medikamente.
Was ist eine Friedreich-Ataxie?
- Erstmal 1863 vom deutschen Neurologen Nikolaus Friedreich beschrieben, ist die Friedreich-Ataxie eine fortschreitende neurologische Krankheit, die auf einen Gendefekt zurückzuführen ist.
- Ataxie bezeichnet dabei Koordinationsstörungen, die ausgelöst werden durch eine Schädigung des Kleinhirns oder der Nervenfasern zum Rückenmark.
- Die Krankheit beeinträchtigt meist nicht die intellektuellen Fähigkeiten und ihr Verlauf ist unterschiedlich schnell.
Betroffene leiden unter verschiedenen Symptomen, die jedoch nicht bei allen Patienten und Patientinnen gleichermassen auftreten müssen:
- Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen
- unsicherer Gang
- Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken
- Schwäche und Ermüdung, v.a. in den Beinen
- Spastiken
- Muskelschwäche
- Hohlfüsse
- Skoliose (Verkrümmung der Wirbelsäule)
- bei 50 bis 70 % der Patienten: Herzstörung, die häufig symptomfrei verläuft, aber auch zu Herz-Rhythmusstörungen oder Herzschwäche und in der Folge zum Tod führen kann